EINSTURZ
Poupées und Zeichnungen
Das Paradies ist nebenan
Evas unschuldig aufrichtige Wissensbegierde wird der antagonistischen Raumbewegung der Schlange und damit ihrer List und Kraft gegenübergestellt. Lediglich zwei oben angesetzte Dreiecke markieren Evas Weiblichkeit. Die mit untragbarer Bedeutung beladene Frucht wird durch Größe und ihre grobe Oberflächenstruktur wesenhaft veranschaulicht. Alle drei Figuren sind aus gewölbten und zusammengesetzten Kompartimenten aufgebaut – so entfaltet sich ein vielschichtig aufeinander verweisendes Beziehungsdreieck. Dunkle Nuancen von Grautönen, Senfgelb und Graublau unter Feuer und Asche im Rakubrand entstanden, bewirken einen archaisch-alttestamentlichen Eindruck. Die Feuerspuren vermitteln der Szene ein dystopisches Danach. Auch die in der Kugel klaffende, geflickte Lücke deutet in diese Richtung: Das Nebenan des Paradieses heißt hier, jenseits seiner verschlossenen Tore. Gebeutelt, jedoch nicht zerstört wirkt die Gruppe. Es ist zugleich der Anfang von etwas Neuem. In kleinen keramischen Szenen greift Rosemarie Stuffer 2016 das Thema Paradies erneut auf. Dieses Mal werden Miniatur-Orte kreiert, umfriedete Gärten Eden, kleine bühnenhafte Horti Conclusi. In ihnen tummeln sich in frisch-bunten Glasurtönen und unschuldiger Bildsprache symbolische Gegenstände und paradiesisches Personal. Schlangen kriechen an Äpfeln vorbei, Himmelsleitern ragen in die Höhe, Masken und Totenköpfe, unfertige Häuser und einmalig auch Adam und Eva sind hier in eine additive, spielerische Nähe zueinander gebracht. Am oberen Ende einer Rampe harrt ein Ei aus. Alles wirkt seltsam zeitlos und zugleich wartend – Heil und Unheil umkreisen einander im langsamen, wie absichtslosen Flirt. Eine eingefrorene Zeit vor der Zeit bietet sich dar, die für den getakteten, modernen Menschen nur schwer auszuhalten ist. Man beginnt zu ahnen, dass der Sündenfall eine innere Unerlässlichkeit besessen haben muss, um durch Aktivierungsenergie angelegte Ereignisse in Gang zu bringen. Unumgänglich wirkt die innere Distanz zum vermeintlich lieblichen Ort. In den Papierarbeiten mit den Titeln Portrait und Kleid schiebt sich eine schwarze Schablone vor nackte Körper. Diese Bilder sind zweischichtig aus Aktskizzen und darauf applizierten, später entstandenen Schablonen zusammengesetzt. Ihr Ausschnitt umreißt eine Körperform, die frei aufgelegt ist, ohne das Geschlecht oder den Ausdruck der darunterliegenden zeichnerischen und aquarellierten Akte aufzugreifen. Dadurch wirken die Schablonen weniger als Rahmen und mehr als Schleier. Sie betonen das Sichtbare durch Verhüllung. Die schwarze Pinselführung gibt ihnen eine dichte, aber nicht opake, malerische Qualität. Zart aquarellierte, sich überlagernde Körperformen der Skizzen müssen jetzt, teilverdeckt, umsomehr im Erkenntnisprozess zu vollständigen Körpern aktiv konstruiert werden. Der Betrachter wird in eine voyeuristische Rolle versetzt, die aber zugleich eine Position der Separation und Distanz ist. Welche Welten erkennen wir im Hintergrund? Sind es Liebende auf der Insel Kythera, ein Reigen von Nymphen und Satyrn oder sind diese Szenen in der Jetztzeit anzusiedeln?
Dabei geht es ihr beim ersten Objekt primär um den Symbolwert. Deshalb kann sie hier Löwe und Lamm ganz einfach in Gestalt einer schlichten Fotografie ins Zentrum stellen.
Die
Idee stammt aus dem Profetenbuch Jesaja. Da heißt es: "Wolf und Lamm werden beieinander weiden; der Löwe wird Stroh fressen wie die Rinder, und die Schlange sich von Erde nähren:
sie werden keinen Schaden thun, noch Verderben anrichten in meinem ganzen heiligen Berglande, spricht Jahwe." (Jesaja 65, 25) Ist das nun eine Utopie, ein U-Topos, der
noch nicht Realität werden kann, oder doch im Blick auf die genannten Tiergattungen eher eine Illusion, deren Symbolwert auf die Menschen zielt, die sich gegenseitig
fressen oder in Kriegen zerstören. (...) Wenden wir uns den von der Künstlerin positionierten Figuren Adam und Eva zu. Da gibt es keine Verführungskünste und -sünden. Da
stehen sich Adam und Eva auf Augenhöhe ruhig gegenüber. (...) Wenn Sie googeln, finden Sie künstlerische Darstellungen der Himmelsleiter, auf der Engel aufwärts steigen. Rosemarie
Stuffer verzichtet auf dergleichen. Ich interpretiere ihre engellose, schlichte Darstellung als Fingerzeig: Da gibt es kein himmlisches Oben. Die Leiter wird zum Symbol
für die Suche des Menschen (...). Das Paradies befindet sich nicht an einem mythologischen Anfang oder Ende der Welt. Es ist nebenan; im Nebenzimmer im Wohnzimmer, im
Schlafzimmer, im Nachbarhaus, es ereignet sich in der sensiblen Begegnung von Menschen und Kulturen, von Menschen, die sich ähnlich - oder ganz anders sind.
Es gibt berühmte
Bilder über archaische Schöpfungserzählungen, über die böse Schlange, den Sündenfall und drakonische Strafen. Rosemarie Stuffer hat meines Erachtens hier ein diskret aufklärendes
kleines Gegenmodell geschaffen. Ich gratuliere ihr dazu!
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Poupées und Zeichnungen
Das Paradies ist nebenan
Evas unschuldig aufrichtige Wissensbegierde wird der antagonistischen Raumbewegung der Schlange und damit ihrer List und Kraft gegenübergestellt. Lediglich zwei oben angesetzte Dreiecke markieren Evas Weiblichkeit. Die mit untragbarer Bedeutung beladene Frucht wird durch Größe und ihre grobe Oberflächenstruktur wesenhaft veranschaulicht. Alle drei Figuren sind aus gewölbten und zusammengesetzten Kompartimenten aufgebaut – so entfaltet sich ein vielschichtig aufeinander verweisendes Beziehungsdreieck. Dunkle Nuancen von Grautönen, Senfgelb und Graublau unter Feuer und Asche im Rakubrand entstanden, bewirken einen archaisch-alttestamentlichen Eindruck. Die Feuerspuren vermitteln der Szene ein dystopisches Danach. Auch die in der Kugel klaffende, geflickte Lücke deutet in diese Richtung: Das Nebenan des Paradieses heißt hier, jenseits seiner verschlossenen Tore. Gebeutelt, jedoch nicht zerstört wirkt die Gruppe. Es ist zugleich der Anfang von etwas Neuem. In kleinen keramischen Szenen greift Rosemarie Stuffer 2016 das Thema Paradies erneut auf. Dieses Mal werden Miniatur-Orte kreiert, umfriedete Gärten Eden, kleine bühnenhafte Horti Conclusi. In ihnen tummeln sich in frisch-bunten Glasurtönen und unschuldiger Bildsprache symbolische Gegenstände und paradiesisches Personal. Schlangen kriechen an Äpfeln vorbei, Himmelsleitern ragen in die Höhe, Masken und Totenköpfe, unfertige Häuser und einmalig auch Adam und Eva sind hier in eine additive, spielerische Nähe zueinander gebracht. Am oberen Ende einer Rampe harrt ein Ei aus. Alles wirkt seltsam zeitlos und zugleich wartend – Heil und Unheil umkreisen einander im langsamen, wie absichtslosen Flirt. Eine eingefrorene Zeit vor der Zeit bietet sich dar, die für den getakteten, modernen Menschen nur schwer auszuhalten ist. Man beginnt zu ahnen, dass der Sündenfall eine innere Unerlässlichkeit besessen haben muss, um durch Aktivierungsenergie angelegte Ereignisse in Gang zu bringen. Unumgänglich wirkt die innere Distanz zum vermeintlich lieblichen Ort. In den Papierarbeiten mit den Titeln Portrait und Kleid schiebt sich eine schwarze Schablone vor nackte Körper. Diese Bilder sind zweischichtig aus Aktskizzen und darauf applizierten, später entstandenen Schablonen zusammengesetzt. Ihr Ausschnitt umreißt eine Körperform, die frei aufgelegt ist, ohne das Geschlecht oder den Ausdruck der darunterliegenden zeichnerischen und aquarellierten Akte aufzugreifen. Dadurch wirken die Schablonen weniger als Rahmen und mehr als Schleier. Sie betonen das Sichtbare durch Verhüllung. Die schwarze Pinselführung gibt ihnen eine dichte, aber nicht opake, malerische Qualität. Zart aquarellierte, sich überlagernde Körperformen der Skizzen müssen jetzt, teilverdeckt, umsomehr im Erkenntnisprozess zu vollständigen Körpern aktiv konstruiert werden. Der Betrachter wird in eine voyeuristische Rolle versetzt, die aber zugleich eine Position der Separation und Distanz ist. Welche Welten erkennen wir im Hintergrund? Sind es Liebende auf der Insel Kythera, ein Reigen von Nymphen und Satyrn oder sind diese Szenen in der Jetztzeit anzusiedeln?
Dabei geht es ihr beim ersten Objekt primär um den Symbolwert. Deshalb kann sie hier Löwe und Lamm ganz einfach in Gestalt einer schlichten Fotografie ins Zentrum stellen.
Die
Idee stammt aus dem Profetenbuch Jesaja. Da heißt es: "Wolf und Lamm werden beieinander weiden; der Löwe wird Stroh fressen wie die Rinder, und die Schlange sich von Erde nähren:
sie werden keinen Schaden thun, noch Verderben anrichten in meinem ganzen heiligen Berglande, spricht Jahwe." (Jesaja 65, 25) Ist das nun eine Utopie, ein U-Topos, der
noch nicht Realität werden kann, oder doch im Blick auf die genannten Tiergattungen eher eine Illusion, deren Symbolwert auf die Menschen zielt, die sich gegenseitig
fressen oder in Kriegen zerstören. (...) Wenden wir uns den von der Künstlerin positionierten Figuren Adam und Eva zu. Da gibt es keine Verführungskünste und -sünden. Da
stehen sich Adam und Eva auf Augenhöhe ruhig gegenüber. (...) Wenn Sie googeln, finden Sie künstlerische Darstellungen der Himmelsleiter, auf der Engel aufwärts steigen. Rosemarie
Stuffer verzichtet auf dergleichen. Ich interpretiere ihre engellose, schlichte Darstellung als Fingerzeig: Da gibt es kein himmlisches Oben. Die Leiter wird zum Symbol
für die Suche des Menschen (...). Das Paradies befindet sich nicht an einem mythologischen Anfang oder Ende der Welt. Es ist nebenan; im Nebenzimmer im Wohnzimmer, im
Schlafzimmer, im Nachbarhaus, es ereignet sich in der sensiblen Begegnung von Menschen und Kulturen, von Menschen, die sich ähnlich - oder ganz anders sind.
Es gibt berühmte
Bilder über archaische Schöpfungserzählungen, über die böse Schlange, den Sündenfall und drakonische Strafen. Rosemarie Stuffer hat meines Erachtens hier ein diskret aufklärendes
kleines Gegenmodell geschaffen. Ich gratuliere ihr dazu!
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Poupées und Zeichnungen
Das Paradies ist nebenan
Evas unschuldig aufrichtige Wissensbegierde wird der antagonistischen Raumbewegung der Schlange und damit ihrer List und Kraft gegenübergestellt. Lediglich zwei oben angesetzte Dreiecke markieren Evas Weiblichkeit. Die mit untragbarer Bedeutung beladene Frucht wird durch Größe und ihre grobe Oberflächenstruktur wesenhaft veranschaulicht. Alle drei Figuren sind aus gewölbten und zusammengesetzten Kompartimenten aufgebaut – so entfaltet sich ein vielschichtig aufeinander verweisendes Beziehungsdreieck. Dunkle Nuancen von Grautönen, Senfgelb und Graublau unter Feuer und Asche im Rakubrand entstanden, bewirken einen archaisch-alttestamentlichen Eindruck. Die Feuerspuren vermitteln der Szene ein dystopisches Danach. Auch die in der Kugel klaffende, geflickte Lücke deutet in diese Richtung: Das Nebenan des Paradieses heißt hier, jenseits seiner verschlossenen Tore. Gebeutelt, jedoch nicht zerstört wirkt die Gruppe. Es ist zugleich der Anfang von etwas Neuem. In kleinen keramischen Szenen greift Rosemarie Stuffer 2016 das Thema Paradies erneut auf. Dieses Mal werden Miniatur-Orte kreiert, umfriedete Gärten Eden, kleine bühnenhafte Horti Conclusi. In ihnen tummeln sich in frisch-bunten Glasurtönen und unschuldiger Bildsprache symbolische Gegenstände und paradiesisches Personal. Schlangen kriechen an Äpfeln vorbei, Himmelsleitern ragen in die Höhe, Masken und Totenköpfe, unfertige Häuser und einmalig auch Adam und Eva sind hier in eine additive, spielerische Nähe zueinander gebracht. Am oberen Ende einer Rampe harrt ein Ei aus. Alles wirkt seltsam zeitlos und zugleich wartend – Heil und Unheil umkreisen einander im langsamen, wie absichtslosen Flirt. Eine eingefrorene Zeit vor der Zeit bietet sich dar, die für den getakteten, modernen Menschen nur schwer auszuhalten ist. Man beginnt zu ahnen, dass der Sündenfall eine innere Unerlässlichkeit besessen haben muss, um durch Aktivierungsenergie angelegte Ereignisse in Gang zu bringen. Unumgänglich wirkt die innere Distanz zum vermeintlich lieblichen Ort. In den Papierarbeiten mit den Titeln Portrait und Kleid schiebt sich eine schwarze Schablone vor nackte Körper. Diese Bilder sind zweischichtig aus Aktskizzen und darauf applizierten, später entstandenen Schablonen zusammengesetzt. Ihr Ausschnitt umreißt eine Körperform, die frei aufgelegt ist, ohne das Geschlecht oder den Ausdruck der darunterliegenden zeichnerischen und aquarellierten Akte aufzugreifen. Dadurch wirken die Schablonen weniger als Rahmen und mehr als Schleier. Sie betonen das Sichtbare durch Verhüllung. Die schwarze Pinselführung gibt ihnen eine dichte, aber nicht opake, malerische Qualität. Zart aquarellierte, sich überlagernde Körperformen der Skizzen müssen jetzt, teilverdeckt, umsomehr im Erkenntnisprozess zu vollständigen Körpern aktiv konstruiert werden. Der Betrachter wird in eine voyeuristische Rolle versetzt, die aber zugleich eine Position der Separation und Distanz ist. Welche Welten erkennen wir im Hintergrund? Sind es Liebende auf der Insel Kythera, ein Reigen von Nymphen und Satyrn oder sind diese Szenen in der Jetztzeit anzusiedeln?
Dabei geht es ihr beim ersten Objekt primär um den Symbolwert. Deshalb kann sie hier Löwe und Lamm ganz einfach in Gestalt einer schlichten Fotografie ins Zentrum stellen.
Die
Idee stammt aus dem Profetenbuch Jesaja. Da heißt es: "Wolf und Lamm werden beieinander weiden; der Löwe wird Stroh fressen wie die Rinder, und die Schlange sich von Erde nähren:
sie werden keinen Schaden thun, noch Verderben anrichten in meinem ganzen heiligen Berglande, spricht Jahwe." (Jesaja 65, 25) Ist das nun eine Utopie, ein U-Topos, der
noch nicht Realität werden kann, oder doch im Blick auf die genannten Tiergattungen eher eine Illusion, deren Symbolwert auf die Menschen zielt, die sich gegenseitig
fressen oder in Kriegen zerstören. (...) Wenden wir uns den von der Künstlerin positionierten Figuren Adam und Eva zu. Da gibt es keine Verführungskünste und -sünden. Da
stehen sich Adam und Eva auf Augenhöhe ruhig gegenüber. (...) Wenn Sie googeln, finden Sie künstlerische Darstellungen der Himmelsleiter, auf der Engel aufwärts steigen. Rosemarie
Stuffer verzichtet auf dergleichen. Ich interpretiere ihre engellose, schlichte Darstellung als Fingerzeig: Da gibt es kein himmlisches Oben. Die Leiter wird zum Symbol
für die Suche des Menschen (...). Das Paradies befindet sich nicht an einem mythologischen Anfang oder Ende der Welt. Es ist nebenan; im Nebenzimmer im Wohnzimmer, im
Schlafzimmer, im Nachbarhaus, es ereignet sich in der sensiblen Begegnung von Menschen und Kulturen, von Menschen, die sich ähnlich - oder ganz anders sind.
Es gibt berühmte
Bilder über archaische Schöpfungserzählungen, über die böse Schlange, den Sündenfall und drakonische Strafen. Rosemarie Stuffer hat meines Erachtens hier ein diskret aufklärendes
kleines Gegenmodell geschaffen. Ich gratuliere ihr dazu!
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