Poupées und Zeichnungen
 
Seit vier Jahrzehnten rückt Rosemarie Stuffer die leibliche Form und den emotionalen Ausdruck des menschlichen Körpers in den Mittelpunkt ihres Schaffens. Die keramische Werkgruppe Poupées präsentiert sie in Crailsheim im Stadtmuseum im Spital zum ersten Mal umfassend in einer Ausstellung. Die kleinen bis mittelgroßen menschlichen Figuren sind mit rundlichen Formen, starken, massigen Schultern und üppigen Taillen ausgeführt. Aufgespannt zwischen kleinen Köpfen und schmalen Füßen erinnert mancher vollbusige Leib an altsteinzeitliche Idole wie die Venus von Willendorf. Andere Stücke stellen den Körper hingegen als eine hohle, menschliche Hauthülle in Bewegung dar. Ob als Einzelfigur oder Paar: Stuffer geht es stets um universelle, zeitentrückte Zustände des menschlichen Daseins an sich. Die Mitteilsamkeit der Körper erforscht sie ergänzend in zeichnerischen und aquarellierten Akten.

Für die Poupées gibt Rosemarie Stuffer farbige oder helle Tone in gebogene Stahldrahtgewebe und brennt sie im Rakubrandverfahren. Bei diesem werden die noch rotglühenden Stücke mit einer Zange aus dem Ofen geholt und in organisches Material wie Stroh, Späne oder Laub gegeben. Die Hitze entzündet die pflanzlichen Fasern und freiwerdender Kohlenstoff und Mineralien lagern sich in den glühenden Ton ein. Daraufhin zeigen sich an den Figuren versengte Stellen; schwarze, braune und rote Spuren der Flammen nuancieren die Oberflächen farblich. Das Feuer wird zum sichtbaren Werkzeug und prägt so den Ausdruck mit.
Besonders eindringlich geschieht dies bei den Poupées aus den Jahren 2003 bis 2006, die als Wandarbeiten konzipiert sind. Sie weisen deformierte, flächenartige Körper auf, die an den Extremitäten dreidimensional, im Bereich des Bauches aber offen gestaltet sind. Diese leeren Körpermitten lassen sie schutzlos und ausgeliefert wirken. Der Ton drückt sich durch das Drahtgerüst und erzeugt eine zerfurcht-unruhige Oberfläche, als würde er durch einen Fleischwolf gedreht. Die Folge ist eine belebte Struktur, die sich in eine vibrierende Kraterlandschaft auflöst. Das bildsame Material wird vom Draht zugleich gehalten und durchschnitten.
Die Positionen der Arme und Beine insinuieren Bewegungen, deren psychologisch-situative Ursachen mehrdeutig sind – handelt es sich um einen Tanz, um freudige Erregung oder um eine Flucht vor Gefahr? In diesem Zusammenhang wirken die Rauchspuren wie Merkmale einer Versehrtheit, eines vielleicht kriegerischen Geschehens. Die unschuldige Bezeichnung als Poupée, als Puppe, bricht sich an diesen ruhelosen Gestalten.
Ähnlich angegriffen wirken die Köpfe aus der Serie Formationen aus dem Jahr 2001. In den stark abstrahierten und deformierten klumpigen Gefügen ist der Betrachter versucht, Charakter, Lebensspuren und die emotionale Welt eines Menschen abzulesen. Von welchen Ereignissen mögen diese teils verkohlten und entstellten Schädel zeugen? Schwarze Öffnungen als Augen oder Mund, kurzes Haar – hier könnten sich dem Betrachter Opfer einer Katastrophen darbieten oder innere Kämpfe gequälter Seelen zum Vorschein kommen. Der Eindruck der Verwundung haftet ihnen an.
In den folgenden Jahren entwickelt Rosemarie Stuffer die Werkgruppe der Poupées weiter. Zunehmend werden die Körper geschlossen und erhalten als typisches Merkmal eine schwellende Leiblichkeit. Größere Abschnitte des Drahtes werden mit Tonmasse so überzogen, dass sich eine geschlossene, glatte Oberfläche bildet. Dadurch entsteht eine sensible Balance zwischen dichten, ruhigen Partien und rauen Abschnitten mit ihrer aufgewühlten Bewegtheit. Die vollplastische Form nimmt den Figuren den Eindruck von Bedrängnis und Vulnerabilität, stattdessen strahlen sie verstärkt Ruhe und Entspannung aus. In ungezwungenen, offenen Haltungen des Lagerns oder Sitzens kehren die Frauen- und Männerfiguren in Momente eines utopischen Seins ein. Andere schwingen wiederum in dynamischen, heiteren Tänzen. Die tanzenden Frauenfiguren lassen an die Nanas von Niki de Saint Phalle denken: bunte, starke, feministische Symbole der schöpferischen Kraft der Frau und einschüchternde Präsentationen ihrer Größe und Macht. Stuffers Poupeés vermitteln im Vergleich eine organische, weniger kämpferische aber ebenso intensive Lebensenergie. Mit Glasur setzt sie bei wenigen, ausgewählten Stücken Akzente im Stil informeller Malerei.

Rosemarie Stuffer arbeitet vielgestaltig auch im Bereich der großformatigen keramischen Plastik. Die Figuren imponieren als mehr als zwei Meter hoch aufstrebende Stelen mit mehreren rundlichen Ausbuchtungen. Diese Wölbungen sind in ihren Proportionen und ihrem Verhältnis zueinander derart angeordnet, dass die Stelen als eine Mischform aus schwangeren Frauenkörpern und Vegetation erscheinen. Ihre oberen Enden sind in einzelne, sich sanft einrollende Stränge ausgefranst und weisen dadurch formale Parallelen zu den berühmten fotografischen Pflanzenaufnahmen von Karl Blossfeldt auf. Eine Strukturen-reproduzierende Kraft der Natur wird hier als schöpferische Energie über die Grenzen der Spezies hinweg wahrnehmbar. Diese innere Verwandtschaft des Lebendigen findet in Rosemarie Stuffers Arbeiten ihren Ausdruck in sowohl schon lange gültigen, archaischen Formen als auch in flüchtig festgehaltenen Augenblicken. Anhand der zeichnerischen und plastischen Arbeiten wird für den Betrachter ein metamorphes Spektrum der menschlichen Erfahrungswelt erlebbar.
 
(Olga Moldaver, Eröffnungsrede d. Ausst. Poupèes und Zeichnungen, Stadtmuseum im Spital, Crailsheim, 2017)

 

 

 

 

Das Paradies ist nebenan
 
Die titelgebende Arbeit Rosemarie Stuffers Das Paradies ist nebenan ist eine dreiteilige keramische Gruppe aus dem Jahre 1998. Horizontal, dynamisch und resilient streckt sich ein halbrunder Trichter in den Raum. Ihm entgegengesetzt ist eine schmale Stele: vertikal, standhaft und dabei auf einer schmächtigen Basis fußend. Auf dem Boden lagert eine versehrte, mit Metalldrähten zusammengeflickte Hohlkugel. So trägt die Künstlerin den Diskurs des Sündenfalls auf formaler Ebene aus, ohne erzählerische Wege zu beschreiten.

 

Evas unschuldig aufrichtige Wissensbegierde wird der antagonistischen Raumbewegung der Schlange und damit ihrer List und Kraft gegenübergestellt. Lediglich zwei oben angesetzte Dreiecke markieren Evas Weiblichkeit. Die mit untragbarer Bedeutung beladene Frucht wird durch Größe und ihre grobe Oberflächenstruktur wesenhaft veranschaulicht. Alle drei Figuren sind aus gewölbten und zusammengesetzten Kompartimenten aufgebaut – so entfaltet sich ein vielschichtig aufeinander verweisendes Beziehungsdreieck.
 Dunkle Nuancen von Grautönen, Senfgelb und Graublau unter Feuer und Asche im Rakubrand entstanden, bewirken einen archaisch-alttestamentlichen Eindruck. Die Feuerspuren vermitteln der Szene ein dystopisches Danach. Auch die in der Kugel klaffende, geflickte Lücke deutet in diese Richtung: Das Nebenan des Paradieses heißt hier, jenseits seiner verschlossenen Tore. Gebeutelt, jedoch nicht zerstört wirkt die Gruppe. Es ist zugleich der Anfang von etwas Neuem.
In kleinen keramischen Szenen greift Rosemarie Stuffer 2016 das Thema Paradies erneut auf. Dieses Mal werden Miniatur-Orte kreiert, umfriedete Gärten Eden, kleine bühnenhafte Horti Conclusi. In ihnen tummeln sich in frisch-bunten Glasurtönen und unschuldiger Bildsprache symbolische Gegenstände und paradiesisches Personal. Schlangen kriechen an Äpfeln vorbei, Himmelsleitern ragen in die Höhe, Masken und Totenköpfe, unfertige Häuser und einmalig auch Adam und Eva sind hier in eine additive, spielerische Nähe zueinander gebracht. Am oberen Ende einer Rampe harrt ein Ei aus. Alles wirkt seltsam zeitlos und zugleich wartend – Heil und Unheil umkreisen einander im langsamen, wie absichtslosen Flirt.
 Eine eingefrorene Zeit vor der Zeit bietet sich dar, die für den getakteten, modernen Menschen nur schwer auszuhalten ist. Man beginnt zu ahnen, dass der Sündenfall eine innere Unerlässlichkeit besessen haben muss, um durch Aktivierungsenergie angelegte Ereignisse in Gang zu bringen. Unumgänglich wirkt die innere Distanz zum vermeintlich lieblichen Ort.


In den Papierarbeiten mit den Titeln Portrait und Kleid schiebt sich eine schwarze Schablone vor nackte Körper. Diese Bilder sind zweischichtig aus Aktskizzen und darauf applizierten, später entstandenen Schablonen zusammengesetzt. Ihr Ausschnitt umreißt eine Körperform, die frei aufgelegt ist, ohne das Geschlecht oder den Ausdruck der darunterliegenden zeichnerischen und aquarellierten Akte aufzugreifen. Dadurch wirken die Schablonen weniger als Rahmen und mehr als Schleier. Sie betonen das Sichtbare durch Verhüllung. Die schwarze Pinselführung gibt ihnen eine dichte, aber nicht opake, malerische Qualität. Zart aquarellierte, sich überlagernde Körperformen der Skizzen müssen jetzt, teilverdeckt, umsomehr im Erkenntnisprozess zu vollständigen Körpern aktiv konstruiert werden. Der Betrachter wird in eine voyeuristische Rolle versetzt, die aber zugleich eine Position der Separation und Distanz ist. Welche Welten erkennen wir im Hintergrund? Sind es Liebende auf der Insel Kythera, ein Reigen von Nymphen und Satyrn oder sind diese Szenen in der Jetztzeit anzusiedeln?


Wir blicken auf einen freien aber entfernten und unzugänglichen Sehnsuchtsort.
 Mythen, die sich um utopische Orte ranken, transformiert Rosemarie Stuffer und macht sie zu Provisorien. Ihr Sinn manifestiert sich nicht als feste Größe, sondern als flüchtiger Moment in Relation zu uns selbst. Die optimistische Gewissheit des Titels der Ausstellung zersplittert, sobald ausgesprochen, an der Erkenntnis, dass dieses Nebenan für immer noch einen Schritt entfernt sein wird.
 
(Olga Moldaver, Eröffnungsrede d. Ausst. Das Paradies ist nebenan, Galerie Schröder & Dörr, Bergisch Gladbach, 2017)


 
 
 
Das Paradies ist nebenan /2
 
Rosemarie Stuffers drei Kunstobjekte greifen auf uralte Mythologien zurück.

Dabei geht es ihr beim ersten Objekt primär um den Symbolwert. Deshalb kann sie hier Löwe und Lamm ganz einfach in Gestalt einer schlichten Fotografie ins Zentrum stellen.
 Die Idee stammt aus dem Profetenbuch Jesaja. Da heißt es: "Wolf und Lamm werden beieinander weiden; der Löwe wird Stroh fressen wie die Rinder, und die Schlange sich von Erde nähren: sie werden keinen Schaden thun, noch Verderben anrichten in meinem ganzen heiligen Berglande, spricht Jahwe." (Jesaja 65, 25) Ist das nun eine Utopie, ein U-Topos, der noch nicht Realität werden kann, oder doch im Blick auf die genannten Tiergattungen eher eine Illusion, deren Symbolwert auf die Menschen zielt, die sich gegenseitig fressen oder in Kriegen zerstören. (...) Wenden wir uns den von der Künstlerin positionierten Figuren Adam und Eva zu. Da gibt es keine Verführungskünste und -sünden. Da stehen sich Adam und Eva auf Augenhöhe ruhig gegenüber. (...) Wenn Sie googeln, finden Sie künstlerische Darstellungen der Himmelsleiter, auf der Engel aufwärts steigen. Rosemarie Stuffer verzichtet auf dergleichen. Ich interpretiere ihre engellose, schlichte Darstellung als Fingerzeig: Da gibt es kein himmlisches Oben. Die Leiter wird zum Symbol für die Suche des Menschen (...). Das Paradies befindet sich nicht an einem mythologischen Anfang oder Ende der Welt. Es ist nebenan; im Nebenzimmer im Wohnzimmer, im Schlafzimmer, im Nachbarhaus, es ereignet sich in der sensiblen Begegnung von Menschen und Kulturen, von Menschen, die sich ähnlich - oder ganz anders sind.
 Es gibt berühmte Bilder über archaische Schöpfungserzählungen, über die böse Schlange, den Sündenfall und drakonische Strafen. Rosemarie Stuffer hat meines Erachtens hier ein diskret aufklärendes kleines Gegenmodell geschaffen. Ich gratuliere ihr dazu!
 
(Klaus Schmidt, Auszug a. d. Rede zur Finissage d. Ausst. Das Paradies ist nebenan,  2017)
 

 


 
Termin vor Ort
 
Rosemarie Stuffers bizarre Keramikstelen wie auch die sensiblen Arbeiten aus Draht und Papier verdanken sich einem naturnahen Ansatz. Sie arbeitet mit starken Gegensätzlichkeiten wie Abschottung und Transparenz, Schwere und Leichtigkeit und erzeugt dadurch den Eindruck höchster Fragilität und drohender Zerstörung. In der extremen Auslotung von Statik und Fragilität, offener und verschlossener Form, überträgt sie die Grundphänomene menschlichen Seins in eine künstlerische Aussage.
Das Motiv entwickelt sich häufig aus Landschaft. Die Lebendigkeit und fast organische Präsenz ihrer Arbeiten spiegeln ebenso Wandel und prozessuale Veränderungen der allgegenwärtigen Natur, wie deren zerstörerische Kräfte. In den Objekten, die sie mit Papier und Draht konstruiert, erlaubt sie sich einen Ausflug in eigene Traumwelten.
Sie wirken wie Modelle filigraner Behausungen einer schemenhaften Realität, Wolkenkuckucksheime oder Luftschlösser.
Sehr viel statuarischer dagegen scheinen die hoch aufgeschossenen Stelen aus Ton, die auf jahrelangen Experimenten mit Brand- und Glasurtechniken beruhen. Es sind aufmerksame Wächter, die weit sichtbar aus dem Horizont emporragen und eine gewisse Dominanz, aber auch Distanz und vorsichtiges Abstand-Halten suggerieren. Ihre Existenz ist bei weitem nicht so gefestigt, wie es im ersten Moment scheint. Sie stehen nur auf einer sehr schmalen Basis und können schnell ins Wanken geraten und zerschellen.
 Ähnlich fragil geht es auch in den Zeichnungen zu. Was sich schließlich herausbildet, entscheidet sich durch minimale Veränderungen, Drehungen oder Verdichtungen.
Am Anfang eines jeden Stromes zeichnet sich die zarte Spur eines kaum merklichen Rinnsals.
 
(Sabine Elsa Müller, anlässlich d. Ausstellung Termin vor Ort, Kunstmuseum Villa Zanders, Bergisch Gladbach, 2016)
 
 

 


Skulpturen und Bilder
 
Rosemarie Stuffers bildnerisches und plastisches Werk fügt sich sehr ausgewogen zu einem Ganzen. Als konstante Achse innerhalb der Gattungen wie auch als Bindeglied zwischen ihnen steht immer der Mensch im Mittelpunkt ihres künstlerischen Schaffens. Ihn erlebt Rosemarie Stuffer zwar als kulturelles Wesen, das denkt und handelt, das aber auch individuellen wie kollektiven Prägungen unterworfen ist, die sein Fühlen, Denken und Handeln oft rätselhaft scheinen lassen. Trotz aller Psychoanalyse, trotz seines steten Strebens nach Vollkommenheit, bleibt der Mensch letztlich seiner schicksalhaften Existenz verhaftet.
 So finden wir im gesamten Oeuvre der Künstlerin den Versuch, diesem uneinlösbaren Widerspruch von angestrebtem Ideal, das sich an der gelebten Realität bricht, nachzuspüren, ihn ins Material zu übertragen und so an die Oberfläche zu bringen. Immer wieder wird der Mensch zitiert, sei es als fragile Kontur in der Malerei oder als vollrunde Figur, die sich näherer Bestimmung verweigert.
 Die Objekte erhalten ihre spezifische Oberflächenstruktur durch den Raku-Brand. Ein bereits im 16. Jahrhundert in Japan entwickeltes Brennverfahren, das es der Künstlerin ermöglicht, eine Textur zu schaffen, die sich durch eine erdige Tonalität und rissige, schrundige Brüchigkeit auszeichnet und damit schon auf rein materieller Ebene ihrer künstlerischen Intention entspricht. Die Bruchstellen, die sie im Leben selbst, d. h. im sozialen Gefüge ebenso wie in individuellen Biografien feststellt, sollen auch dem Material eingeschrieben sein. 
An Harmonien und Postkartenidyllen ist Rosemarie Stuffer nicht interessiert. Dies zeigt sich auch in ihrer Malerei, die ja in engem Zusammenhang zum plastischen Werk steht. Sie ist die Fortsetzung ihrer künstlerischen Auffassung in einem Medium, dass mehr Bewegung zulässt. Hier kann sie dynamischer, intuitiver arbeiten. 
Die durch starke Kratzspuren, teilweise durch chemische Reaktion oder mittels des Aufbringens von Sand oder anderen Materialien erzielte Brüchigkeit der Bildfläche korrespondiert mit der Oberflächenbehandlung der Plastik.
 
(Doris Hensch,  a. d. Eröffnungsrede d. Ausst. Malerei und Skulpturen, Forum für Kunst und Architektur, Essen, 2009)
 

 


 
Bilder und Skulpturen
 
Grundlage ist bei Rosemarie Stuffer die Auseinandersetzung mit der menschlichen Figur und Gestalt, auch wenn die Figur im Prozess der Arbeit meist weitgehend aufgelöst erscheint. Für ihre Plastiken hat die Künstlerin eine eigene keramische Sprache abstrakter und organischer Formen entwickelt. Ihre Figuren erheben sich auf schlankem Fuß bis auf eine Höhe von zweieinhalb Meter und bewegen sich im Raum wie Tänzer auf einer Bühne.
 In den malerischen Arbeiten Rosemarie Stuffers zeigen sich unterschiedliche Stofflichkeiten wie Acryl, Sand, Seidenpapier und sogar Draht in einem Gewebe von Formen und Farben, das sich zunächst an figürlichen Darstellungen orientiert, sich jedoch je nach Arbeit immer weiter in die Abstraktion auflöst. Ein spannungsreicher Kontrast zwischen Linien und Materialflächen entspinnt sich in den Arbeiten auf Papier, der sich sowohl plastisch wie flächig lesen lässt.
 Die Stofflichkeit in den Bildern und Skulpturen von Rosemarie Stuffer ist ein wesentliches und bestimmendes Element, das die Sinnlichkeit und Dichte ihres Werkes trägt.
 
(Dr. Gabriele Uelbsberg, a.d. Einführungsrede d. Ausst. Bilder und Skulpturen, Maternushaus, Köln, 2005)
 

 


 
Formationen /Skulpturen und Zeichnungen
 
Die Bildhauerin Rosemarie Stuffer hat sich in ihrer langjährigen künstlerischen Tätigkeit mit den unterschiedlichsten Werkstoffen und Techniken auseinandergesetzt; keramische Arbeiten stehen neben Malerei, Materialcollagen neben Assemblagen. Im Umgang mit diesen sehr unterschiedlichen Materialien hat sie eine individuelle künstlerische Sprache entwickelt, in der sich plastische und malerische Werkausformungen berühren. Der Schwerpunkt und zugleich der Ausgangspunkt von Rosemarie Stuffers künstlerischem Schaffen liegt im Bereich der Plastik. Dem Werkstoff Ton gewinnt sie neue und ungewohnte künstlerische Qualitäten ab, indem sie mit verschiedenen Tonarten, Formaten, Glasur- und Brenntechniken experimentiert. Ihre keramischen Werke haben mit klassischen Gefäßen und Kleinplastiken nichts gemein.
Stuffer verwendet für ihre oft großformatigen plastischen Figuren, Köpfe oder Stelen Draht und Fundstücke, die sie mit Ton auffüllt oder ergänzt, wobei die metallischen Unterkonstruktionen und die Spuren der Bearbeitung im Ton sichtbar bleiben. Die abstrahierten menschlichen Körper und Köpfe fertigt Rosemarie Stuffer in Serien, in denen vielfältige Variationen von Grundformen einzelne Typen deutlich machen. In diesen Typen wird eine Verbindung zu archaischen und mythischen, zu ozeanischen und afrikanischen Ausdrucksformen spürbar. Durch die rauhe, schrundige Oberfläche, durch Risse und Nahtstellen verdeutlichen die Arbeiten die Morbidität und Vergänglichkeit menschlicher Existenz und die Verwandlung und Veränderung ihrer Physiognomien.
Neben ihren keramischen Skulpturen präsentiert Rosemarie Stuffer Zeichnungen, die sich durch ihre lockere, mal malende, mal schreibende Bewegung und ihren expressiven, mehrschichtigen Farbauftrag auszeichnen. Die Arbeiten der Künstlerin formulieren zurückhaltend und hintergründig Fragen nach den Bedingungen, den Gefährdungen und der Begrenztheit des Daseins und führen die Brüchigkeit und Fragilität menschlicher Existenz vor Augen.
 
(Dr. Maria Linsmann-Dege, a.d. Einführungsrede d. Ausst. Formationen, Stadtmuseum Siegburg, 2001)
 
 
 


Konkrete Welten der Fantasie
 
Rosemarie Stuffers Kunst der Verfremdung der Metarmorphose, der Mutationen, der Material- und Motivbeherrrschung sind nicht nur künstlerisches und handwerklisches Können, sondern vor allem geistig-träumerischer Prozess und mitunter auch psychoanalytischer Beweis. Hier ist ein systematisch denkender und ordnender Geist am Werke, dem die Begeisterung an der treffenden Form ebensowenig verloren gegangen ist wie die Leidenschaft am Malen und an der Farbe.
 
(Prof. Frank G. Zehnder, a.d. Einführungsrede d. Ausst. Kopffüßler Wächter Masken, Thomas-Morus-Akademie, Bergisch Gladbach 1998)
 

   

 

 

Poupées und Zeichnungen
 
Seit vier Jahrzehnten rückt Rosemarie Stuffer die leibliche Form und den emotionalen Ausdruck des menschlichen Körpers in den Mittelpunkt ihres Schaffens. Die keramische Werkgruppe Poupées präsentiert sie in Crailsheim im Stadtmuseum im Spital zum ersten Mal umfassend in einer Ausstellung. Die kleinen bis mittelgroßen menschlichen Figuren sind mit rundlichen Formen, starken, massigen Schultern und üppigen Taillen ausgeführt. Aufgespannt zwischen kleinen Köpfen und schmalen Füßen erinnert mancher vollbusige Leib an altsteinzeitliche Idole wie die Venus von Willendorf. Andere Stücke stellen den Körper hingegen als eine hohle, menschliche Hauthülle in Bewegung dar. Ob als Einzelfigur oder Paar: Stuffer geht es stets um universelle, zeitentrückte Zustände des menschlichen Daseins an sich. Die Mitteilsamkeit der Körper erforscht sie ergänzend in zeichnerischen und aquarellierten Akten.

Für die Poupées gibt Rosemarie Stuffer farbige oder helle Tone in gebogene Stahldrahtgewebe und brennt sie im Rakubrandverfahren. Bei diesem werden die noch rotglühenden Stücke mit einer Zange aus dem Ofen geholt und in organisches Material wie Stroh, Späne oder Laub gegeben. Die Hitze entzündet die pflanzlichen Fasern und freiwerdender Kohlenstoff und Mineralien lagern sich in den glühenden Ton ein. Daraufhin zeigen sich an den Figuren versengte Stellen; schwarze, braune und rote Spuren der Flammen nuancieren die Oberflächen farblich. Das Feuer wird zum sichtbaren Werkzeug und prägt so den Ausdruck mit.
Besonders eindringlich geschieht dies bei den Poupées aus den Jahren 2003 bis 2006, die als Wandarbeiten konzipiert sind. Sie weisen deformierte, flächenartige Körper auf, die an den Extremitäten dreidimensional, im Bereich des Bauches aber offen gestaltet sind. Diese leeren Körpermitten lassen sie schutzlos und ausgeliefert wirken. Der Ton drückt sich durch das Drahtgerüst und erzeugt eine zerfurcht-unruhige Oberfläche, als würde er durch einen Fleischwolf gedreht. Die Folge ist eine belebte Struktur, die sich in eine vibrierende Kraterlandschaft auflöst. Das bildsame Material wird vom Draht zugleich gehalten und durchschnitten.
Die Positionen der Arme und Beine insinuieren Bewegungen, deren psychologisch-situative Ursachen mehrdeutig sind – handelt es sich um einen Tanz, um freudige Erregung oder um eine Flucht vor Gefahr? In diesem Zusammenhang wirken die Rauchspuren wie Merkmale einer Versehrtheit, eines vielleicht kriegerischen Geschehens. Die unschuldige Bezeichnung als Poupée, als Puppe, bricht sich an diesen ruhelosen Gestalten.
Ähnlich angegriffen wirken die Köpfe aus der Serie Formationen aus dem Jahr 2001. In den stark abstrahierten und deformierten klumpigen Gefügen ist der Betrachter versucht, Charakter, Lebensspuren und die emotionale Welt eines Menschen abzulesen. Von welchen Ereignissen mögen diese teils verkohlten und entstellten Schädel zeugen? Schwarze Öffnungen als Augen oder Mund, kurzes Haar – hier könnten sich dem Betrachter Opfer einer Katastrophen darbieten oder innere Kämpfe gequälter Seelen zum Vorschein kommen. Der Eindruck der Verwundung haftet ihnen an.
In den folgenden Jahren entwickelt Rosemarie Stuffer die Werkgruppe der Poupées weiter. Zunehmend werden die Körper geschlossen und erhalten als typisches Merkmal eine schwellende Leiblichkeit. Größere Abschnitte des Drahtes werden mit Tonmasse so überzogen, dass sich eine geschlossene, glatte Oberfläche bildet. Dadurch entsteht eine sensible Balance zwischen dichten, ruhigen Partien und rauen Abschnitten mit ihrer aufgewühlten Bewegtheit. Die vollplastische Form nimmt den Figuren den Eindruck von Bedrängnis und Vulnerabilität, stattdessen strahlen sie verstärkt Ruhe und Entspannung aus. In ungezwungenen, offenen Haltungen des Lagerns oder Sitzens kehren die Frauen- und Männerfiguren in Momente eines utopischen Seins ein. Andere schwingen wiederum in dynamischen, heiteren Tänzen. Die tanzenden Frauenfiguren lassen an die Nanas von Niki de Saint Phalle denken: bunte, starke, feministische Symbole der schöpferischen Kraft der Frau und einschüchternde Präsentationen ihrer Größe und Macht. Stuffers Poupeés vermitteln im Vergleich eine organische, weniger kämpferische aber ebenso intensive Lebensenergie. Mit Glasur setzt sie bei wenigen, ausgewählten Stücken Akzente im Stil informeller Malerei.

Rosemarie Stuffer arbeitet vielgestaltig auch im Bereich der großformatigen keramischen Plastik. Die Figuren imponieren als mehr als zwei Meter hoch aufstrebende Stelen mit mehreren rundlichen Ausbuchtungen. Diese Wölbungen sind in ihren Proportionen und ihrem Verhältnis zueinander derart angeordnet, dass die Stelen als eine Mischform aus schwangeren Frauenkörpern und Vegetation erscheinen. Ihre oberen Enden sind in einzelne, sich sanft einrollende Stränge ausgefranst und weisen dadurch formale Parallelen zu den berühmten fotografischen Pflanzenaufnahmen von Karl Blossfeldt auf. Eine Strukturen-reproduzierende Kraft der Natur wird hier als schöpferische Energie über die Grenzen der Spezies hinweg wahrnehmbar. Diese innere Verwandtschaft des Lebendigen findet in Rosemarie Stuffers Arbeiten ihren Ausdruck in sowohl schon lange gültigen, archaischen Formen als auch in flüchtig festgehaltenen Augenblicken. Anhand der zeichnerischen und plastischen Arbeiten wird für den Betrachter ein metamorphes Spektrum der menschlichen Erfahrungswelt erlebbar.
 
(Olga Moldaver, Eröffnungsrede d. Ausst. Poupèes und Zeichnungen, Stadtmuseum im Spital, Crailsheim, 2017)

 

 

 

 

Das Paradies ist nebenan
 
Die titelgebende Arbeit Rosemarie Stuffers Das Paradies ist nebenan ist eine dreiteilige keramische Gruppe aus dem Jahre 1998. Horizontal, dynamisch und resilient streckt sich ein halbrunder Trichter in den Raum. Ihm entgegengesetzt ist eine schmale Stele: vertikal, standhaft und dabei auf einer schmächtigen Basis fußend. Auf dem Boden lagert eine versehrte, mit Metalldrähten zusammengeflickte Hohlkugel. So trägt die Künstlerin den Diskurs des Sündenfalls auf formaler Ebene aus, ohne erzählerische Wege zu beschreiten.

 

Evas unschuldig aufrichtige Wissensbegierde wird der antagonistischen Raumbewegung der Schlange und damit ihrer List und Kraft gegenübergestellt. Lediglich zwei oben angesetzte Dreiecke markieren Evas Weiblichkeit. Die mit untragbarer Bedeutung beladene Frucht wird durch Größe und ihre grobe Oberflächenstruktur wesenhaft veranschaulicht. Alle drei Figuren sind aus gewölbten und zusammengesetzten Kompartimenten aufgebaut – so entfaltet sich ein vielschichtig aufeinander verweisendes Beziehungsdreieck.
 Dunkle Nuancen von Grautönen, Senfgelb und Graublau unter Feuer und Asche im Rakubrand entstanden, bewirken einen archaisch-alttestamentlichen Eindruck. Die Feuerspuren vermitteln der Szene ein dystopisches Danach. Auch die in der Kugel klaffende, geflickte Lücke deutet in diese Richtung: Das Nebenan des Paradieses heißt hier, jenseits seiner verschlossenen Tore. Gebeutelt, jedoch nicht zerstört wirkt die Gruppe. Es ist zugleich der Anfang von etwas Neuem.
In kleinen keramischen Szenen greift Rosemarie Stuffer 2016 das Thema Paradies erneut auf. Dieses Mal werden Miniatur-Orte kreiert, umfriedete Gärten Eden, kleine bühnenhafte Horti Conclusi. In ihnen tummeln sich in frisch-bunten Glasurtönen und unschuldiger Bildsprache symbolische Gegenstände und paradiesisches Personal. Schlangen kriechen an Äpfeln vorbei, Himmelsleitern ragen in die Höhe, Masken und Totenköpfe, unfertige Häuser und einmalig auch Adam und Eva sind hier in eine additive, spielerische Nähe zueinander gebracht. Am oberen Ende einer Rampe harrt ein Ei aus. Alles wirkt seltsam zeitlos und zugleich wartend – Heil und Unheil umkreisen einander im langsamen, wie absichtslosen Flirt.
 Eine eingefrorene Zeit vor der Zeit bietet sich dar, die für den getakteten, modernen Menschen nur schwer auszuhalten ist. Man beginnt zu ahnen, dass der Sündenfall eine innere Unerlässlichkeit besessen haben muss, um durch Aktivierungsenergie angelegte Ereignisse in Gang zu bringen. Unumgänglich wirkt die innere Distanz zum vermeintlich lieblichen Ort.


In den Papierarbeiten mit den Titeln Portrait und Kleid schiebt sich eine schwarze Schablone vor nackte Körper. Diese Bilder sind zweischichtig aus Aktskizzen und darauf applizierten, später entstandenen Schablonen zusammengesetzt. Ihr Ausschnitt umreißt eine Körperform, die frei aufgelegt ist, ohne das Geschlecht oder den Ausdruck der darunterliegenden zeichnerischen und aquarellierten Akte aufzugreifen. Dadurch wirken die Schablonen weniger als Rahmen und mehr als Schleier. Sie betonen das Sichtbare durch Verhüllung. Die schwarze Pinselführung gibt ihnen eine dichte, aber nicht opake, malerische Qualität. Zart aquarellierte, sich überlagernde Körperformen der Skizzen müssen jetzt, teilverdeckt, umsomehr im Erkenntnisprozess zu vollständigen Körpern aktiv konstruiert werden. Der Betrachter wird in eine voyeuristische Rolle versetzt, die aber zugleich eine Position der Separation und Distanz ist. Welche Welten erkennen wir im Hintergrund? Sind es Liebende auf der Insel Kythera, ein Reigen von Nymphen und Satyrn oder sind diese Szenen in der Jetztzeit anzusiedeln?


Wir blicken auf einen freien aber entfernten und unzugänglichen Sehnsuchtsort.
 Mythen, die sich um utopische Orte ranken, transformiert Rosemarie Stuffer und macht sie zu Provisorien. Ihr Sinn manifestiert sich nicht als feste Größe, sondern als flüchtiger Moment in Relation zu uns selbst. Die optimistische Gewissheit des Titels der Ausstellung zersplittert, sobald ausgesprochen, an der Erkenntnis, dass dieses Nebenan für immer noch einen Schritt entfernt sein wird.
 
(Olga Moldaver, Eröffnungsrede d. Ausst. Das Paradies ist nebenan, Galerie Schröder & Dörr, Bergisch Gladbach, 2017)


 
 
 
Das Paradies ist nebenan /2
 
Rosemarie Stuffers drei Kunstobjekte greifen auf uralte Mythologien zurück.

Dabei geht es ihr beim ersten Objekt primär um den Symbolwert. Deshalb kann sie hier Löwe und Lamm ganz einfach in Gestalt einer schlichten Fotografie ins Zentrum stellen.
 Die Idee stammt aus dem Profetenbuch Jesaja. Da heißt es: "Wolf und Lamm werden beieinander weiden; der Löwe wird Stroh fressen wie die Rinder, und die Schlange sich von Erde nähren: sie werden keinen Schaden thun, noch Verderben anrichten in meinem ganzen heiligen Berglande, spricht Jahwe." (Jesaja 65, 25) Ist das nun eine Utopie, ein U-Topos, der noch nicht Realität werden kann, oder doch im Blick auf die genannten Tiergattungen eher eine Illusion, deren Symbolwert auf die Menschen zielt, die sich gegenseitig fressen oder in Kriegen zerstören. (...) Wenden wir uns den von der Künstlerin positionierten Figuren Adam und Eva zu. Da gibt es keine Verführungskünste und -sünden. Da stehen sich Adam und Eva auf Augenhöhe ruhig gegenüber. (...) Wenn Sie googeln, finden Sie künstlerische Darstellungen der Himmelsleiter, auf der Engel aufwärts steigen. Rosemarie Stuffer verzichtet auf dergleichen. Ich interpretiere ihre engellose, schlichte Darstellung als Fingerzeig: Da gibt es kein himmlisches Oben. Die Leiter wird zum Symbol für die Suche des Menschen (...). Das Paradies befindet sich nicht an einem mythologischen Anfang oder Ende der Welt. Es ist nebenan; im Nebenzimmer im Wohnzimmer, im Schlafzimmer, im Nachbarhaus, es ereignet sich in der sensiblen Begegnung von Menschen und Kulturen, von Menschen, die sich ähnlich - oder ganz anders sind.
 Es gibt berühmte Bilder über archaische Schöpfungserzählungen, über die böse Schlange, den Sündenfall und drakonische Strafen. Rosemarie Stuffer hat meines Erachtens hier ein diskret aufklärendes kleines Gegenmodell geschaffen. Ich gratuliere ihr dazu!
 
(Klaus Schmidt, Auszug a. d. Rede zur Finissage d. Ausst. Das Paradies ist nebenan,  2017)
 

 


 
Termin vor Ort
 
Rosemarie Stuffers bizarre Keramikstelen wie auch die sensiblen Arbeiten aus Draht und Papier verdanken sich einem naturnahen Ansatz. Sie arbeitet mit starken Gegensätzlichkeiten wie Abschottung und Transparenz, Schwere und Leichtigkeit und erzeugt dadurch den Eindruck höchster Fragilität und drohender Zerstörung. In der extremen Auslotung von Statik und Fragilität, offener und verschlossener Form, überträgt sie die Grundphänomene menschlichen Seins in eine künstlerische Aussage.
Das Motiv entwickelt sich häufig aus Landschaft. Die Lebendigkeit und fast organische Präsenz ihrer Arbeiten spiegeln ebenso Wandel und prozessuale Veränderungen der allgegenwärtigen Natur, wie deren zerstörerische Kräfte. In den Objekten, die sie mit Papier und Draht konstruiert, erlaubt sie sich einen Ausflug in eigene Traumwelten.
Sie wirken wie Modelle filigraner Behausungen einer schemenhaften Realität, Wolkenkuckucksheime oder Luftschlösser.
Sehr viel statuarischer dagegen scheinen die hoch aufgeschossenen Stelen aus Ton, die auf jahrelangen Experimenten mit Brand- und Glasurtechniken beruhen. Es sind aufmerksame Wächter, die weit sichtbar aus dem Horizont emporragen und eine gewisse Dominanz, aber auch Distanz und vorsichtiges Abstand-Halten suggerieren. Ihre Existenz ist bei weitem nicht so gefestigt, wie es im ersten Moment scheint. Sie stehen nur auf einer sehr schmalen Basis und können schnell ins Wanken geraten und zerschellen.
 Ähnlich fragil geht es auch in den Zeichnungen zu. Was sich schließlich herausbildet, entscheidet sich durch minimale Veränderungen, Drehungen oder Verdichtungen.
Am Anfang eines jeden Stromes zeichnet sich die zarte Spur eines kaum merklichen Rinnsals.
 
(Sabine Elsa Müller, anlässlich d. Ausstellung Termin vor Ort, Kunstmuseum Villa Zanders, Bergisch Gladbach, 2016)
 
 

 


Skulpturen und Bilder
 
Rosemarie Stuffers bildnerisches und plastisches Werk fügt sich sehr ausgewogen zu einem Ganzen. Als konstante Achse innerhalb der Gattungen wie auch als Bindeglied zwischen ihnen steht immer der Mensch im Mittelpunkt ihres künstlerischen Schaffens. Ihn erlebt Rosemarie Stuffer zwar als kulturelles Wesen, das denkt und handelt, das aber auch individuellen wie kollektiven Prägungen unterworfen ist, die sein Fühlen, Denken und Handeln oft rätselhaft scheinen lassen. Trotz aller Psychoanalyse, trotz seines steten Strebens nach Vollkommenheit, bleibt der Mensch letztlich seiner schicksalhaften Existenz verhaftet.
 So finden wir im gesamten Oeuvre der Künstlerin den Versuch, diesem uneinlösbaren Widerspruch von angestrebtem Ideal, das sich an der gelebten Realität bricht, nachzuspüren, ihn ins Material zu übertragen und so an die Oberfläche zu bringen. Immer wieder wird der Mensch zitiert, sei es als fragile Kontur in der Malerei oder als vollrunde Figur, die sich näherer Bestimmung verweigert.
 Die Objekte erhalten ihre spezifische Oberflächenstruktur durch den Raku-Brand. Ein bereits im 16. Jahrhundert in Japan entwickeltes Brennverfahren, das es der Künstlerin ermöglicht, eine Textur zu schaffen, die sich durch eine erdige Tonalität und rissige, schrundige Brüchigkeit auszeichnet und damit schon auf rein materieller Ebene ihrer künstlerischen Intention entspricht. Die Bruchstellen, die sie im Leben selbst, d. h. im sozialen Gefüge ebenso wie in individuellen Biografien feststellt, sollen auch dem Material eingeschrieben sein. 
An Harmonien und Postkartenidyllen ist Rosemarie Stuffer nicht interessiert. Dies zeigt sich auch in ihrer Malerei, die ja in engem Zusammenhang zum plastischen Werk steht. Sie ist die Fortsetzung ihrer künstlerischen Auffassung in einem Medium, dass mehr Bewegung zulässt. Hier kann sie dynamischer, intuitiver arbeiten. 
Die durch starke Kratzspuren, teilweise durch chemische Reaktion oder mittels des Aufbringens von Sand oder anderen Materialien erzielte Brüchigkeit der Bildfläche korrespondiert mit der Oberflächenbehandlung der Plastik.
 
(Doris Hensch,  a. d. Eröffnungsrede d. Ausst. Malerei und Skulpturen, Forum für Kunst und Architektur, Essen, 2009)
 

 


 
Bilder und Skulpturen
 
Grundlage ist bei Rosemarie Stuffer die Auseinandersetzung mit der menschlichen Figur und Gestalt, auch wenn die Figur im Prozess der Arbeit meist weitgehend aufgelöst erscheint. Für ihre Plastiken hat die Künstlerin eine eigene keramische Sprache abstrakter und organischer Formen entwickelt. Ihre Figuren erheben sich auf schlankem Fuß bis auf eine Höhe von zweieinhalb Meter und bewegen sich im Raum wie Tänzer auf einer Bühne.
 In den malerischen Arbeiten Rosemarie Stuffers zeigen sich unterschiedliche Stofflichkeiten wie Acryl, Sand, Seidenpapier und sogar Draht in einem Gewebe von Formen und Farben, das sich zunächst an figürlichen Darstellungen orientiert, sich jedoch je nach Arbeit immer weiter in die Abstraktion auflöst. Ein spannungsreicher Kontrast zwischen Linien und Materialflächen entspinnt sich in den Arbeiten auf Papier, der sich sowohl plastisch wie flächig lesen lässt.
 Die Stofflichkeit in den Bildern und Skulpturen von Rosemarie Stuffer ist ein wesentliches und bestimmendes Element, das die Sinnlichkeit und Dichte ihres Werkes trägt.
 
(Dr. Gabriele Uelbsberg, a.d. Einführungsrede d. Ausst. Bilder und Skulpturen, Maternushaus, Köln, 2005)
 

 


 
Formationen /Skulpturen und Zeichnungen
 
Die Bildhauerin Rosemarie Stuffer hat sich in ihrer langjährigen künstlerischen Tätigkeit mit den unterschiedlichsten Werkstoffen und Techniken auseinandergesetzt; keramische Arbeiten stehen neben Malerei, Materialcollagen neben Assemblagen. Im Umgang mit diesen sehr unterschiedlichen Materialien hat sie eine individuelle künstlerische Sprache entwickelt, in der sich plastische und malerische Werkausformungen berühren. Der Schwerpunkt und zugleich der Ausgangspunkt von Rosemarie Stuffers künstlerischem Schaffen liegt im Bereich der Plastik. Dem Werkstoff Ton gewinnt sie neue und ungewohnte künstlerische Qualitäten ab, indem sie mit verschiedenen Tonarten, Formaten, Glasur- und Brenntechniken experimentiert. Ihre keramischen Werke haben mit klassischen Gefäßen und Kleinplastiken nichts gemein.
Stuffer verwendet für ihre oft großformatigen plastischen Figuren, Köpfe oder Stelen Draht und Fundstücke, die sie mit Ton auffüllt oder ergänzt, wobei die metallischen Unterkonstruktionen und die Spuren der Bearbeitung im Ton sichtbar bleiben. Die abstrahierten menschlichen Körper und Köpfe fertigt Rosemarie Stuffer in Serien, in denen vielfältige Variationen von Grundformen einzelne Typen deutlich machen. In diesen Typen wird eine Verbindung zu archaischen und mythischen, zu ozeanischen und afrikanischen Ausdrucksformen spürbar. Durch die rauhe, schrundige Oberfläche, durch Risse und Nahtstellen verdeutlichen die Arbeiten die Morbidität und Vergänglichkeit menschlicher Existenz und die Verwandlung und Veränderung ihrer Physiognomien.
Neben ihren keramischen Skulpturen präsentiert Rosemarie Stuffer Zeichnungen, die sich durch ihre lockere, mal malende, mal schreibende Bewegung und ihren expressiven, mehrschichtigen Farbauftrag auszeichnen. Die Arbeiten der Künstlerin formulieren zurückhaltend und hintergründig Fragen nach den Bedingungen, den Gefährdungen und der Begrenztheit des Daseins und führen die Brüchigkeit und Fragilität menschlicher Existenz vor Augen.
 
(Dr. Maria Linsmann-Dege, a.d. Einführungsrede d. Ausst. Formationen, Stadtmuseum Siegburg, 2001)
 
 
 


Konkrete Welten der Fantasie
 
Rosemarie Stuffers Kunst der Verfremdung der Metarmorphose, der Mutationen, der Material- und Motivbeherrrschung sind nicht nur künstlerisches und handwerklisches Können, sondern vor allem geistig-träumerischer Prozess und mitunter auch psychoanalytischer Beweis. Hier ist ein systematisch denkender und ordnender Geist am Werke, dem die Begeisterung an der treffenden Form ebensowenig verloren gegangen ist wie die Leidenschaft am Malen und an der Farbe.
 
(Prof. Frank G. Zehnder, a.d. Einführungsrede d. Ausst. Kopffüßler Wächter Masken, Thomas-Morus-Akademie, Bergisch Gladbach 1998)
 

   

 

 

Poupées und Zeichnungen
 
Seit vier Jahrzehnten rückt Rosemarie Stuffer die leibliche Form und den emotionalen Ausdruck des menschlichen Körpers in den Mittelpunkt ihres Schaffens. Die keramische Werkgruppe Poupées präsentiert sie in Crailsheim im Stadtmuseum im Spital zum ersten Mal umfassend in einer Ausstellung. Die kleinen bis mittelgroßen menschlichen Figuren sind mit rundlichen Formen, starken, massigen Schultern und üppigen Taillen ausgeführt. Aufgespannt zwischen kleinen Köpfen und schmalen Füßen erinnert mancher vollbusige Leib an altsteinzeitliche Idole wie die Venus von Willendorf. Andere Stücke stellen den Körper hingegen als eine hohle, menschliche Hauthülle in Bewegung dar. Ob als Einzelfigur oder Paar: Stuffer geht es stets um universelle, zeitentrückte Zustände des menschlichen Daseins an sich. Die Mitteilsamkeit der Körper erforscht sie ergänzend in zeichnerischen und aquarellierten Akten.

Für die Poupées gibt Rosemarie Stuffer farbige oder helle Tone in gebogene Stahldrahtgewebe und brennt sie im Rakubrandverfahren. Bei diesem werden die noch rotglühenden Stücke mit einer Zange aus dem Ofen geholt und in organisches Material wie Stroh, Späne oder Laub gegeben. Die Hitze entzündet die pflanzlichen Fasern und freiwerdender Kohlenstoff und Mineralien lagern sich in den glühenden Ton ein. Daraufhin zeigen sich an den Figuren versengte Stellen; schwarze, braune und rote Spuren der Flammen nuancieren die Oberflächen farblich. Das Feuer wird zum sichtbaren Werkzeug und prägt so den Ausdruck mit.
Besonders eindringlich geschieht dies bei den Poupées aus den Jahren 2003 bis 2006, die als Wandarbeiten konzipiert sind. Sie weisen deformierte, flächenartige Körper auf, die an den Extremitäten dreidimensional, im Bereich des Bauches aber offen gestaltet sind. Diese leeren Körpermitten lassen sie schutzlos und ausgeliefert wirken. Der Ton drückt sich durch das Drahtgerüst und erzeugt eine zerfurcht-unruhige Oberfläche, als würde er durch einen Fleischwolf gedreht. Die Folge ist eine belebte Struktur, die sich in eine vibrierende Kraterlandschaft auflöst. Das bildsame Material wird vom Draht zugleich gehalten und durchschnitten.
Die Positionen der Arme und Beine insinuieren Bewegungen, deren psychologisch-situative Ursachen mehrdeutig sind – handelt es sich um einen Tanz, um freudige Erregung oder um eine Flucht vor Gefahr? In diesem Zusammenhang wirken die Rauchspuren wie Merkmale einer Versehrtheit, eines vielleicht kriegerischen Geschehens. Die unschuldige Bezeichnung als Poupée, als Puppe, bricht sich an diesen ruhelosen Gestalten.
Ähnlich angegriffen wirken die Köpfe aus der Serie Formationen aus dem Jahr 2001. In den stark abstrahierten und deformierten klumpigen Gefügen ist der Betrachter versucht, Charakter, Lebensspuren und die emotionale Welt eines Menschen abzulesen. Von welchen Ereignissen mögen diese teils verkohlten und entstellten Schädel zeugen? Schwarze Öffnungen als Augen oder Mund, kurzes Haar – hier könnten sich dem Betrachter Opfer einer Katastrophen darbieten oder innere Kämpfe gequälter Seelen zum Vorschein kommen. Der Eindruck der Verwundung haftet ihnen an.
In den folgenden Jahren entwickelt Rosemarie Stuffer die Werkgruppe der Poupées weiter. Zunehmend werden die Körper geschlossen und erhalten als typisches Merkmal eine schwellende Leiblichkeit. Größere Abschnitte des Drahtes werden mit Tonmasse so überzogen, dass sich eine geschlossene, glatte Oberfläche bildet. Dadurch entsteht eine sensible Balance zwischen dichten, ruhigen Partien und rauen Abschnitten mit ihrer aufgewühlten Bewegtheit. Die vollplastische Form nimmt den Figuren den Eindruck von Bedrängnis und Vulnerabilität, stattdessen strahlen sie verstärkt Ruhe und Entspannung aus. In ungezwungenen, offenen Haltungen des Lagerns oder Sitzens kehren die Frauen- und Männerfiguren in Momente eines utopischen Seins ein. Andere schwingen wiederum in dynamischen, heiteren Tänzen. Die tanzenden Frauenfiguren lassen an die Nanas von Niki de Saint Phalle denken: bunte, starke, feministische Symbole der schöpferischen Kraft der Frau und einschüchternde Präsentationen ihrer Größe und Macht. Stuffers Poupeés vermitteln im Vergleich eine organische, weniger kämpferische aber ebenso intensive Lebensenergie. Mit Glasur setzt sie bei wenigen, ausgewählten Stücken Akzente im Stil informeller Malerei.

Rosemarie Stuffer arbeitet vielgestaltig auch im Bereich der großformatigen keramischen Plastik. Die Figuren imponieren als mehr als zwei Meter hoch aufstrebende Stelen mit mehreren rundlichen Ausbuchtungen. Diese Wölbungen sind in ihren Proportionen und ihrem Verhältnis zueinander derart angeordnet, dass die Stelen als eine Mischform aus schwangeren Frauenkörpern und Vegetation erscheinen. Ihre oberen Enden sind in einzelne, sich sanft einrollende Stränge ausgefranst und weisen dadurch formale Parallelen zu den berühmten fotografischen Pflanzenaufnahmen von Karl Blossfeldt auf. Eine Strukturen-reproduzierende Kraft der Natur wird hier als schöpferische Energie über die Grenzen der Spezies hinweg wahrnehmbar. Diese innere Verwandtschaft des Lebendigen findet in Rosemarie Stuffers Arbeiten ihren Ausdruck in sowohl schon lange gültigen, archaischen Formen als auch in flüchtig festgehaltenen Augenblicken. Anhand der zeichnerischen und plastischen Arbeiten wird für den Betrachter ein metamorphes Spektrum der menschlichen Erfahrungswelt erlebbar.
 
(Olga Moldaver, Eröffnungsrede d. Ausst. Poupèes und Zeichnungen, Stadtmuseum im Spital, Crailsheim, 2017)

 

 

 

 

Das Paradies ist nebenan
 
Die titelgebende Arbeit Rosemarie Stuffers Das Paradies ist nebenan ist eine dreiteilige keramische Gruppe aus dem Jahre 1998. Horizontal, dynamisch und resilient streckt sich ein halbrunder Trichter in den Raum. Ihm entgegengesetzt ist eine schmale Stele: vertikal, standhaft und dabei auf einer schmächtigen Basis fußend. Auf dem Boden lagert eine versehrte, mit Metalldrähten zusammengeflickte Hohlkugel. So trägt die Künstlerin den Diskurs des Sündenfalls auf formaler Ebene aus, ohne erzählerische Wege zu beschreiten.

 

Evas unschuldig aufrichtige Wissensbegierde wird der antagonistischen Raumbewegung der Schlange und damit ihrer List und Kraft gegenübergestellt. Lediglich zwei oben angesetzte Dreiecke markieren Evas Weiblichkeit. Die mit untragbarer Bedeutung beladene Frucht wird durch Größe und ihre grobe Oberflächenstruktur wesenhaft veranschaulicht. Alle drei Figuren sind aus gewölbten und zusammengesetzten Kompartimenten aufgebaut – so entfaltet sich ein vielschichtig aufeinander verweisendes Beziehungsdreieck.
 Dunkle Nuancen von Grautönen, Senfgelb und Graublau unter Feuer und Asche im Rakubrand entstanden, bewirken einen archaisch-alttestamentlichen Eindruck. Die Feuerspuren vermitteln der Szene ein dystopisches Danach. Auch die in der Kugel klaffende, geflickte Lücke deutet in diese Richtung: Das Nebenan des Paradieses heißt hier, jenseits seiner verschlossenen Tore. Gebeutelt, jedoch nicht zerstört wirkt die Gruppe. Es ist zugleich der Anfang von etwas Neuem.
In kleinen keramischen Szenen greift Rosemarie Stuffer 2016 das Thema Paradies erneut auf. Dieses Mal werden Miniatur-Orte kreiert, umfriedete Gärten Eden, kleine bühnenhafte Horti Conclusi. In ihnen tummeln sich in frisch-bunten Glasurtönen und unschuldiger Bildsprache symbolische Gegenstände und paradiesisches Personal. Schlangen kriechen an Äpfeln vorbei, Himmelsleitern ragen in die Höhe, Masken und Totenköpfe, unfertige Häuser und einmalig auch Adam und Eva sind hier in eine additive, spielerische Nähe zueinander gebracht. Am oberen Ende einer Rampe harrt ein Ei aus. Alles wirkt seltsam zeitlos und zugleich wartend – Heil und Unheil umkreisen einander im langsamen, wie absichtslosen Flirt.
 Eine eingefrorene Zeit vor der Zeit bietet sich dar, die für den getakteten, modernen Menschen nur schwer auszuhalten ist. Man beginnt zu ahnen, dass der Sündenfall eine innere Unerlässlichkeit besessen haben muss, um durch Aktivierungsenergie angelegte Ereignisse in Gang zu bringen. Unumgänglich wirkt die innere Distanz zum vermeintlich lieblichen Ort.


In den Papierarbeiten mit den Titeln Portrait und Kleid schiebt sich eine schwarze Schablone vor nackte Körper. Diese Bilder sind zweischichtig aus Aktskizzen und darauf applizierten, später entstandenen Schablonen zusammengesetzt. Ihr Ausschnitt umreißt eine Körperform, die frei aufgelegt ist, ohne das Geschlecht oder den Ausdruck der darunterliegenden zeichnerischen und aquarellierten Akte aufzugreifen. Dadurch wirken die Schablonen weniger als Rahmen und mehr als Schleier. Sie betonen das Sichtbare durch Verhüllung. Die schwarze Pinselführung gibt ihnen eine dichte, aber nicht opake, malerische Qualität. Zart aquarellierte, sich überlagernde Körperformen der Skizzen müssen jetzt, teilverdeckt, umsomehr im Erkenntnisprozess zu vollständigen Körpern aktiv konstruiert werden. Der Betrachter wird in eine voyeuristische Rolle versetzt, die aber zugleich eine Position der Separation und Distanz ist. Welche Welten erkennen wir im Hintergrund? Sind es Liebende auf der Insel Kythera, ein Reigen von Nymphen und Satyrn oder sind diese Szenen in der Jetztzeit anzusiedeln?


Wir blicken auf einen freien aber entfernten und unzugänglichen Sehnsuchtsort.
 Mythen, die sich um utopische Orte ranken, transformiert Rosemarie Stuffer und macht sie zu Provisorien. Ihr Sinn manifestiert sich nicht als feste Größe, sondern als flüchtiger Moment in Relation zu uns selbst. Die optimistische Gewissheit des Titels der Ausstellung zersplittert, sobald ausgesprochen, an der Erkenntnis, dass dieses Nebenan für immer noch einen Schritt entfernt sein wird.
 
(Olga Moldaver, Eröffnungsrede d. Ausst. Das Paradies ist nebenan, Galerie Schröder & Dörr, Bergisch Gladbach, 2017)


 
 
 
Das Paradies ist nebenan /2
 
Rosemarie Stuffers drei Kunstobjekte greifen auf uralte Mythologien zurück.

Dabei geht es ihr beim ersten Objekt primär um den Symbolwert. Deshalb kann sie hier Löwe und Lamm ganz einfach in Gestalt einer schlichten Fotografie ins Zentrum stellen.
 Die Idee stammt aus dem Profetenbuch Jesaja. Da heißt es: "Wolf und Lamm werden beieinander weiden; der Löwe wird Stroh fressen wie die Rinder, und die Schlange sich von Erde nähren: sie werden keinen Schaden thun, noch Verderben anrichten in meinem ganzen heiligen Berglande, spricht Jahwe." (Jesaja 65, 25) Ist das nun eine Utopie, ein U-Topos, der noch nicht Realität werden kann, oder doch im Blick auf die genannten Tiergattungen eher eine Illusion, deren Symbolwert auf die Menschen zielt, die sich gegenseitig fressen oder in Kriegen zerstören. (...) Wenden wir uns den von der Künstlerin positionierten Figuren Adam und Eva zu. Da gibt es keine Verführungskünste und -sünden. Da stehen sich Adam und Eva auf Augenhöhe ruhig gegenüber. (...) Wenn Sie googeln, finden Sie künstlerische Darstellungen der Himmelsleiter, auf der Engel aufwärts steigen. Rosemarie Stuffer verzichtet auf dergleichen. Ich interpretiere ihre engellose, schlichte Darstellung als Fingerzeig: Da gibt es kein himmlisches Oben. Die Leiter wird zum Symbol für die Suche des Menschen (...). Das Paradies befindet sich nicht an einem mythologischen Anfang oder Ende der Welt. Es ist nebenan; im Nebenzimmer im Wohnzimmer, im Schlafzimmer, im Nachbarhaus, es ereignet sich in der sensiblen Begegnung von Menschen und Kulturen, von Menschen, die sich ähnlich - oder ganz anders sind.
 Es gibt berühmte Bilder über archaische Schöpfungserzählungen, über die böse Schlange, den Sündenfall und drakonische Strafen. Rosemarie Stuffer hat meines Erachtens hier ein diskret aufklärendes kleines Gegenmodell geschaffen. Ich gratuliere ihr dazu!
 
(Klaus Schmidt, Auszug a. d. Rede zur Finissage d. Ausst. Das Paradies ist nebenan,  2017)
 

 


 
Termin vor Ort
 
Rosemarie Stuffers bizarre Keramikstelen wie auch die sensiblen Arbeiten aus Draht und Papier verdanken sich einem naturnahen Ansatz. Sie arbeitet mit starken Gegensätzlichkeiten wie Abschottung und Transparenz, Schwere und Leichtigkeit und erzeugt dadurch den Eindruck höchster Fragilität und drohender Zerstörung. In der extremen Auslotung von Statik und Fragilität, offener und verschlossener Form, überträgt sie die Grundphänomene menschlichen Seins in eine künstlerische Aussage.
Das Motiv entwickelt sich häufig aus Landschaft. Die Lebendigkeit und fast organische Präsenz ihrer Arbeiten spiegeln ebenso Wandel und prozessuale Veränderungen der allgegenwärtigen Natur, wie deren zerstörerische Kräfte. In den Objekten, die sie mit Papier und Draht konstruiert, erlaubt sie sich einen Ausflug in eigene Traumwelten.
Sie wirken wie Modelle filigraner Behausungen einer schemenhaften Realität, Wolkenkuckucksheime oder Luftschlösser.
Sehr viel statuarischer dagegen scheinen die hoch aufgeschossenen Stelen aus Ton, die auf jahrelangen Experimenten mit Brand- und Glasurtechniken beruhen. Es sind aufmerksame Wächter, die weit sichtbar aus dem Horizont emporragen und eine gewisse Dominanz, aber auch Distanz und vorsichtiges Abstand-Halten suggerieren. Ihre Existenz ist bei weitem nicht so gefestigt, wie es im ersten Moment scheint. Sie stehen nur auf einer sehr schmalen Basis und können schnell ins Wanken geraten und zerschellen.
 Ähnlich fragil geht es auch in den Zeichnungen zu. Was sich schließlich herausbildet, entscheidet sich durch minimale Veränderungen, Drehungen oder Verdichtungen.
Am Anfang eines jeden Stromes zeichnet sich die zarte Spur eines kaum merklichen Rinnsals.
 
(Sabine Elsa Müller, anlässlich d. Ausstellung Termin vor Ort, Kunstmuseum Villa Zanders, Bergisch Gladbach, 2016)
 
 

 


Skulpturen und Bilder
 
Rosemarie Stuffers bildnerisches und plastisches Werk fügt sich sehr ausgewogen zu einem Ganzen. Als konstante Achse innerhalb der Gattungen wie auch als Bindeglied zwischen ihnen steht immer der Mensch im Mittelpunkt ihres künstlerischen Schaffens. Ihn erlebt Rosemarie Stuffer zwar als kulturelles Wesen, das denkt und handelt, das aber auch individuellen wie kollektiven Prägungen unterworfen ist, die sein Fühlen, Denken und Handeln oft rätselhaft scheinen lassen. Trotz aller Psychoanalyse, trotz seines steten Strebens nach Vollkommenheit, bleibt der Mensch letztlich seiner schicksalhaften Existenz verhaftet.
 So finden wir im gesamten Oeuvre der Künstlerin den Versuch, diesem uneinlösbaren Widerspruch von angestrebtem Ideal, das sich an der gelebten Realität bricht, nachzuspüren, ihn ins Material zu übertragen und so an die Oberfläche zu bringen. Immer wieder wird der Mensch zitiert, sei es als fragile Kontur in der Malerei oder als vollrunde Figur, die sich näherer Bestimmung verweigert.
 Die Objekte erhalten ihre spezifische Oberflächenstruktur durch den Raku-Brand. Ein bereits im 16. Jahrhundert in Japan entwickeltes Brennverfahren, das es der Künstlerin ermöglicht, eine Textur zu schaffen, die sich durch eine erdige Tonalität und rissige, schrundige Brüchigkeit auszeichnet und damit schon auf rein materieller Ebene ihrer künstlerischen Intention entspricht. Die Bruchstellen, die sie im Leben selbst, d. h. im sozialen Gefüge ebenso wie in individuellen Biografien feststellt, sollen auch dem Material eingeschrieben sein. 
An Harmonien und Postkartenidyllen ist Rosemarie Stuffer nicht interessiert. Dies zeigt sich auch in ihrer Malerei, die ja in engem Zusammenhang zum plastischen Werk steht. Sie ist die Fortsetzung ihrer künstlerischen Auffassung in einem Medium, dass mehr Bewegung zulässt. Hier kann sie dynamischer, intuitiver arbeiten. 
Die durch starke Kratzspuren, teilweise durch chemische Reaktion oder mittels des Aufbringens von Sand oder anderen Materialien erzielte Brüchigkeit der Bildfläche korrespondiert mit der Oberflächenbehandlung der Plastik.
 
(Doris Hensch,  a. d. Eröffnungsrede d. Ausst. Malerei und Skulpturen, Forum für Kunst und Architektur, Essen, 2009)
 

 


 
Bilder und Skulpturen
 
Grundlage ist bei Rosemarie Stuffer die Auseinandersetzung mit der menschlichen Figur und Gestalt, auch wenn die Figur im Prozess der Arbeit meist weitgehend aufgelöst erscheint. Für ihre Plastiken hat die Künstlerin eine eigene keramische Sprache abstrakter und organischer Formen entwickelt. Ihre Figuren erheben sich auf schlankem Fuß bis auf eine Höhe von zweieinhalb Meter und bewegen sich im Raum wie Tänzer auf einer Bühne.
 In den malerischen Arbeiten Rosemarie Stuffers zeigen sich unterschiedliche Stofflichkeiten wie Acryl, Sand, Seidenpapier und sogar Draht in einem Gewebe von Formen und Farben, das sich zunächst an figürlichen Darstellungen orientiert, sich jedoch je nach Arbeit immer weiter in die Abstraktion auflöst. Ein spannungsreicher Kontrast zwischen Linien und Materialflächen entspinnt sich in den Arbeiten auf Papier, der sich sowohl plastisch wie flächig lesen lässt.
 Die Stofflichkeit in den Bildern und Skulpturen von Rosemarie Stuffer ist ein wesentliches und bestimmendes Element, das die Sinnlichkeit und Dichte ihres Werkes trägt.
 
(Dr. Gabriele Uelbsberg, a.d. Einführungsrede d. Ausst. Bilder und Skulpturen, Maternushaus, Köln, 2005)
 

 


 
Formationen /Skulpturen und Zeichnungen
 
Die Bildhauerin Rosemarie Stuffer hat sich in ihrer langjährigen künstlerischen Tätigkeit mit den unterschiedlichsten Werkstoffen und Techniken auseinandergesetzt; keramische Arbeiten stehen neben Malerei, Materialcollagen neben Assemblagen. Im Umgang mit diesen sehr unterschiedlichen Materialien hat sie eine individuelle künstlerische Sprache entwickelt, in der sich plastische und malerische Werkausformungen berühren. Der Schwerpunkt und zugleich der Ausgangspunkt von Rosemarie Stuffers künstlerischem Schaffen liegt im Bereich der Plastik. Dem Werkstoff Ton gewinnt sie neue und ungewohnte künstlerische Qualitäten ab, indem sie mit verschiedenen Tonarten, Formaten, Glasur- und Brenntechniken experimentiert. Ihre keramischen Werke haben mit klassischen Gefäßen und Kleinplastiken nichts gemein.
Stuffer verwendet für ihre oft großformatigen plastischen Figuren, Köpfe oder Stelen Draht und Fundstücke, die sie mit Ton auffüllt oder ergänzt, wobei die metallischen Unterkonstruktionen und die Spuren der Bearbeitung im Ton sichtbar bleiben. Die abstrahierten menschlichen Körper und Köpfe fertigt Rosemarie Stuffer in Serien, in denen vielfältige Variationen von Grundformen einzelne Typen deutlich machen. In diesen Typen wird eine Verbindung zu archaischen und mythischen, zu ozeanischen und afrikanischen Ausdrucksformen spürbar. Durch die rauhe, schrundige Oberfläche, durch Risse und Nahtstellen verdeutlichen die Arbeiten die Morbidität und Vergänglichkeit menschlicher Existenz und die Verwandlung und Veränderung ihrer Physiognomien.
Neben ihren keramischen Skulpturen präsentiert Rosemarie Stuffer Zeichnungen, die sich durch ihre lockere, mal malende, mal schreibende Bewegung und ihren expressiven, mehrschichtigen Farbauftrag auszeichnen. Die Arbeiten der Künstlerin formulieren zurückhaltend und hintergründig Fragen nach den Bedingungen, den Gefährdungen und der Begrenztheit des Daseins und führen die Brüchigkeit und Fragilität menschlicher Existenz vor Augen.
 
(Dr. Maria Linsmann-Dege, a.d. Einführungsrede d. Ausst. Formationen, Stadtmuseum Siegburg, 2001)
 
 
 


Konkrete Welten der Fantasie
 
Rosemarie Stuffers Kunst der Verfremdung der Metarmorphose, der Mutationen, der Material- und Motivbeherrrschung sind nicht nur künstlerisches und handwerklisches Können, sondern vor allem geistig-träumerischer Prozess und mitunter auch psychoanalytischer Beweis. Hier ist ein systematisch denkender und ordnender Geist am Werke, dem die Begeisterung an der treffenden Form ebensowenig verloren gegangen ist wie die Leidenschaft am Malen und an der Farbe.
 
(Prof. Frank G. Zehnder, a.d. Einführungsrede d. Ausst. Kopffüßler Wächter Masken, Thomas-Morus-Akademie, Bergisch Gladbach 1998)